Comeback der Vermögensteuer: Rechtlich wäre der Weg frei
zuletzt aktualisiert: 18. December 2025
Angesichts steigender sozialer Ungleichheit und eines enormen Finanzbedarfs für die sozial-ökologische Transformation wird der Ruf nach einer Vermögensteuer lauter. Doch die Debatte ist verhärtet und endet oft mit dem Verweis auf angebliche verfassungsrechtliche Hürden. Das Working Paper »Der grundgesetzliche Rahmen für die Wiedereinführung einer Vermögensteuer« des Juristen Alexander Thiele schafft nun eine neue, sachliche Grundlage. Es zeigt: Das Grundgesetz verbietet eine solche Steuer nicht – es gibt der Politik ganz klar Gestaltungsspielraum.
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Das Wichtigste in Kürze
Kein Grundsatz-Verbot: Das Bundesverfassungsgericht hat die Vermögensteuer 1995 nicht grundsätzlich gekippt, sondern nur deren konkrete, ungerechte Ausgestaltung.
Der Knackpunkt war Fairness: Hauptkritikpunkt war die ungleiche Bewertung verschiedener Vermögensarten (z.B. Immobilien vs. Aktien), die gegen den Gleichheitssatz verstieß.
Das Grundgesetz ist eindeutig: In Artikel 106 GG wird die Vermögensteuer explizit als zulässige Steuerart genannt.
Politik statt Jura: Die Wiedereinführung ist keine Frage der rechtlichen Machbarkeit, sondern eine politische Gestaltungsaufgabe.
Eine eingefrorene Debatte in hitzigen Zeiten
Unsere Gesellschaft steht vor gewaltigen Aufgaben: Die Klimakrise erfordert massive Investitionen in eine klimaneutrale Wirtschaft, die Corona-Pandemie und der russische Angriffskrieg haben tiefe Spuren in den Staatsfinanzen hinterlassen. Gleichzeitig wächst die Vermögensungleichheit seit Jahrzehnten, auch in Deutschland. Es scheint also naheliegend, darüber nachzudenken, wie sehr vermögende Schichten stärker an der Finanzierung dieser Zukunftsaufgaben beteiligt werden können.
Doch sobald der Begriff »Vermögensteuer« fällt, scheint die Diskussion beendet, bevor sie richtig begonnen hat. Das zentrale Gegenargument: »verfassungswidrig«. Oft wird auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1995 verwiesen, das die damalige Vermögensbesteuerung für verfassungswidrig erklärte. Seit dem 1. Januar 1997 wird sie deshalb nicht mehr erhoben. Die politische Debatte darüber ist, so scheint es, seitdem im selben Zustand wie die Steuer selbst: eingefroren. Das Gutachten von Alexander Thiele zeigt jedoch, dass diese Blockade auf einem weitverbreiteten Missverständnis beruht. Zeit, die Argumente nüchtern zu betrachten und die Debatte auf eine sachliche Grundlage zu stellen.
»Die verfassungsrechtliche Unklarheit verhindert eine ernsthafte politische Auseinandersetzung.«
Der Kern des Urteils von 1995
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1995 war kein grundsätzliches Verbot der Vermögensteuer. Im Gegenteil, das Gericht bezeichnete sie ausdrücklich als »zulässige Form des Steuerzugriffs«. Das Problem war die konkrete, unfaire Umsetzung der damaligen Regelung. Sie verstieß gegen den Gleichheitssatz des Grundgesetzes (Art. 3 GG), weil sie verschiedene Vermögensarten höchst ungleich bewertete.
So wurden Immobilien auf Basis von Jahrzehnte alten Einheitswerten viel zu niedrig angesetzt, während Geld- oder Aktienvermögen mit ihrem tatsächlichen Wert in die Berechnung eingingen. Diese Privilegierung von Grundvermögen war sachlich nicht zu rechtfertigen und damit verfassungswidrig. Das Gericht stoppte also nicht die Idee einer Vermögensteuer, sondern eine handwerklich mangelhafte und ungerechte Gesetzgebung.
1922
wird die Vermögensteuer in der Weimarer Republik als eigenständige, reichsweite Steuer etabliert.
1995
erklärt das Bundesverfassungsgericht die damalige Ausgestaltung der Steuer für verfassungswidrig, aber nicht die Steuer an sich.
1997
Seit dem 1. Januar ist die Steuer »eingefroren« – aber ohne endgültiges rechtliches Verbot.
Die 50%-Grenze für Steuern – ein hartnäckiger Mythos
Im Zuge des Urteils formulierte das Gericht damals auch einige weitergehende Thesen, die bis heute in der Debatte nachhallen. Die bekannteste ist der sogenannte »Halbteilungsgrundsatz«. Er besagte sinngemäß, dass die Gesamtbelastung aus allen Steuern in der Nähe einer hälftigen Teilung zwischen privater und öffentlicher Hand verbleiben müsse. Diese Annahme bremste die politische Debatte jahrzehntelang aus.
Dieser Grundsatz war jedoch selbst innerhalb des Gerichts höchst umstritten. Noch wichtiger: Das Bundesverfassungsgericht hat sich in späteren Entscheidungen selbst explizit von diesem starren Grundsatz distanziert. Im Jahr 2006 stellte es klar, dass aus dem Urteil von 1995 »keine Bindungswirkung« für den Halbteilungsgrundsatz entsteht. Der Mythos einer starren 50-Prozent-Grenze für Steuern ist also eigentlich aus der Welt. Der politische Gestaltungsspielraum bei der Festlegung von Steuersätzen ist daher deutlich größer, als von Gegner*innen der Steuer oft behauptet wird.
»Es kommt, wie bei allen im Grundgesetz aufgeführten Steuerarten, auf die zweifellos komplexen (verfassungsrechtlichen) Details an – absolute Aussagen in die eine oder andere Richtung sind hingegen wenig weiterführend.«
Vermögenssteuer neu gedacht: Leitplanken im Grundgesetz
Wenn die Vermögensteuer also nicht verboten ist – wie könnte eine verfassungskonforme Variante aussehen? Das Gutachten von Alexander Thiele skizziert hierfür klare Leitplanken, die sich direkt aus dem Grundgesetz ableiten.
1. Die Rechtfertigung: Wer mehr hat, kann mehr leisten
Jede Steuer braucht eine Rechtfertigung. Bei der Vermögensteuer liegt diese im sogenannten Leistungsfähigkeitsprinzip . Dahinter steht eine einfache Idee: Wer über ein großes Vermögen verfügt, hat eine höhere wirtschaftliche Leistungsfähigkeit als jemand, der bei gleichem Einkommen kein Vermögen besitzt. Vermögen schafft Sicherheit, Handlungsspielräume und Macht. Diese zusätzliche Leistungsfähigkeit wird durch die Einkommensteuer allein nicht erfasst. Eine Vermögensteuer ist also keine ungerechte Doppelbesteuerung, sondern erfasst einen anderen Aspekt von Wohlstand. Ergänzend kann eine Vermögensteuer auch aus dem Sozialstaatsprinzip gerechtfertigt werden, um einer extremen und demokratieschädlichen Vermögensungleichheit entgegenzuwirken.
2. Die Bewertung: Realitätsnah und fair
Eine neue Vermögensteuer müsste die Fehler der alten vermeiden. Das Wichtigste: Alle relevanten Vermögenswerte – ob Immobilien, Aktien oder Betriebsvermögen – müssen nach vergleichbaren und realitätsnahen Kriterien bewertet werden. Der Gesetzgeber hat hier durchaus Spielraum für Pauschalierungen und Vereinfachungen, solange der grundlegende Verkehrswert annähernd getroffen wird. Bewertungsschwankungen von bis zu 20 Prozent hat das Gericht in anderen Kontexten als zulässig erachtet.
3. Die Gestaltung: Erträge oder Substanz besteuern?
Eine zentrale Frage ist, ob die Steuer nur aus den (angenommenen) Erträgen des Vermögens bezahlt werden soll (Sollertragsteuer) oder ob sie auch die Substanz des Vermögens angreifen darf (Substanzsteuer).
Eine Sollertragsteuer wäre verfassungsrechtlich die einfachere und sicherere Variante. Eine Substanzsteuer ist aber nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Ihre Zulässigkeit hinge stark von den gesellschaftlichen Umständen ab – etwa einem extremen Finanzbedarf des Staates in Notlagen oder einem Ausmaß an sozialer Ungleichheit, das die Demokratie gefährdet.
Der Ball liegt im Spielfeld der Politik
Das Grundgesetz ist also keine unüberwindbare Hürde. Es formuliert vielmehr einen klaren Auftrag: Wenn eine Vermögensteuer eingeführt wird, muss sie fair, nachvollziehbar und gut begründet sein.
Ob unsere Gesellschaft eine solche Steuer will und wie genau sie aussehen soll – mit welchen Freibeträgen, welchen Steuersätzen und welchen Ausnahmen –, das sind die eigentlich entscheidenden Fragen. Es sind politische Fragen, die offensiv in Parlamenten und in der Öffentlichkeit diskutiert werden müssen.