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Mitbestimmung im Stresstest: »Union Busting« – und wie man sich wehrt

zuletzt aktualisiert: 18. December 2025

Plötzlich hagelt es Abmahnungen, der Ton der Vorgesetzten wird rauer, und eine Kündigung liegt in der Luft – oft trifft es jene, die sich für die Rechte ihrer Kolleg*innen einsetzen. Systematische Angriffe auf Betriebsräte und Gewerkschaften sind längst keine Seltenheit mehr. Der Transcript-Band »Kampf um Mitbestimmung« von Oliver Thünken, Sissy Morgenroth, Markus Hertwig und Alrun Fischer legt das Drehbuch dieser Angriffe offen und zeigt vor allem eines: Erfolgreiche Gegenwehr ist machbar und Ergebnis kluger Strategien.

Eine eigene Stimme im Betrieb: Darum geht es bei Mitbestimmung. Doch dieser Raum muss oft erkämpft und verteidigt werden.IMAGO / Westend61

tl;dr: Der Kampf um Mitbestimmung in kurz

  • Kein Selbstläufer: Das Recht auf Mitbestimmung in Betrieben wird von Arbeitgebern zunehmend systematisch untergraben.

  • Professionelle Verhinderung: Arbeitgeber nutzen eine breite Palette an Strategien, von subtilem Druck bis zu spezialisierten Anwaltskanzleien, um Betriebsräte und Gewerkschaften zu behindern.

  • Menschliche Kosten: Für engagierte Beschäftigte haben diese Konflikte oft gravierende persönliche Folgen, von psychischem Druck bis hin zu Kündigungen.

  • Erfolgreicher Widerstand ist möglich: Beschäftigte können mit strategischer Planung, juristischen Mitteln, Öffentlichkeitsarbeit und einem starken Zusammenhalt erfolgreich für ihre Rechte kämpfen.

  • Der Bumerang-Effekt: Aggressive Angriffe von Arbeitgeber-Seite können nach hinten losgehen und die Solidarität in der Belegschaft sogar stärken.

Weg von der reinen Risikovermeidung, hin zu echter Beteiligung

Der Kampf um Mitbestimmung: Dabei geht es nicht nur um alltägliche Auseinandersetzungen über Arbeitszeiten oder Gehaltserhöhungen. Es geht um etwas viel Grundlegenderes: um die Spielregeln selbst. Zunehmend stellen Arbeitgeber die Frage, ob Beschäftigte über ihre Betriebsräte und Gewerkschaften überhaupt ein legitimes Recht haben, an wichtigen Entscheidungen beteiligt zu sein.

Dieser Angriff auf die betriebliche Demokratie ist das, was die Wissenschaft als »Behinderung der Mitbestimmung« bezeichnet. In den Betrieben zeigt sich das in einem oft zermürbenden Kampf. Da werden Initiativen für eine Betriebsratswahl im Keim erstickt, bestehende Gremien systematisch blockiert oder einzelne engagierte Kolleg*innen so lange unter Druck gesetzt, bis sie aufgeben. Auf dem Spiel stehen dabei nicht weniger als die »wirtschaftlichen Bürgerrechte« von Millionen von Angestellten – und damit ein zentraler Pfeiler der sozialen Gerechtigkeit in unserer Gesellschaft.

»Was als Angriff auf ein Individuum, eine engagierte Gewerkschafterin, einen unbequemen Betriebsrat oder kritische Beschäftigte daherkommt, ist letztlich ein Angriff auf eine Säule des demokratischen Gemeinwesens.«
Oliver Thünken, Sissy Morgenroth, Markus Hertwig und Alrun Fischer in »Kampf um Mitbestimmung«

Das Playbook der Verhinderung: Wie Arbeitgeber Mitbestimmung bekämpfen

Die Behinderung von Mitbestimmung ist kein Versehen, sondern folgt oft einer bewussten Strategie. Es ist ein regelrechter Werkzeugkasten an Praktiken, der darauf abzielt, arbeitgeberunabhängige Interessenvertretung zu unterbinden, auszuhebeln oder gar nicht erst entstehen zu lassen. Die Analyse von 28 Fallstudien zeigt, dass diese Angriffe auf vier zentralen Spielfeldern stattfinden:

Verhinderung von Betriebsratswahlen: Hier wird versucht, die erstmalige Gründung eines Betriebsrats zu unterbinden oder die Zusammensetzung des Gremiums bei Wahlen zu manipulieren. Das reicht von der Einschüchterung von Kandidat*innen bis zur Gründung arbeitgebernaher »Alternativen« wie sogenannter Vertrauensräte, die keine echten Rechte besitzen, aber den Anschein von Mitbestimmung wahren sollen.

Behinderung der Betriebsratsarbeit: Bestehende Gremien werden systematisch ausgebremst. Informationen werden zurückgehalten, Anfragen ignoriert, und die Teilnahme an Schulungen verweigert. Der Betriebsrat wird so in einen permanenten Abwehrkampf gezwungen, der alle Ressourcen bindet und ihn von seiner eigentlichen inhaltlichen Arbeit abhält.

Angriffe auf Gewerkschaftsmitglieder: Einzelne engagierte Beschäftigte werden unter Druck gesetzt, um sie zu isolieren. Dies geschieht durch Prämien für Nicht-Streikende oder durch gezielte Schikanen wie Abmahnungen und Kündigungsdrohungen. Ziel ist es, die Aktivist*innen mürbe zu machen und andere von einem Engagement abzuschrecken.

Vermeidung von Tarifverhandlungen: Forderungen nach Tarifverträgen werden oft mit einer Verweigerungshaltung beantwortet. Unternehmen setzen darauf, dass die Gewerkschaft ihre Durchsetzungsfähigkeit nicht lange unter Beweis stellen kann. Oft werden parallel Angebote an die Belegschaft gemacht, um einen Keil zwischen sie und die Gewerkschaft zu treiben.

So kann es gehen: Kreativer Widerstand im Einzelhandel

Wie dieser Kampf in der Realität aussieht, zeigt der Fall Wehaga, ein großer Handelskonzern, der als notorischer »Union Buster« bekannt ist. Der Auslöser für den Konflikt war alltäglich: unfaire Pausenregelungen und schlechte Bezahlung. Eine kleine Gruppe von Beschäftigten beschloss, einen Betriebsrat zu gründen. Die Reaktion des Managements kam prompt und war hart: Die Wahlversammlung wurde angefochten, die Initiative öffentlich als »Rachefeldzug« eines frustrierten Mitarbeiters verunglimpft und eine arbeitgebernahe Gegenliste ins Leben gerufen, um die Wahl zu manipulieren.

»Einschüchterungen und das Schüren von Existenzängsten waren an der Tagesordnung: Wiederholt stellte der Arbeitgeber die Drohung in den Raum, die Filiale zu schließen.«
Oliver Thünken, Sissy Morgenroth, Markus Hertwig und Alrun Fischer über die Taktiken des Arbeitgebers im Fall Wehaga im »Kampf um Mitbestimmung«

Obwohl die Gewerkschaftsliste die Wahl am Ende knapp verlor, gaben die Aktiven nicht auf. Sie arbeiteten im neuen Gremium weiter, gewannen nach und nach das Vertrauen der Belegschaft und schließlich bei Neuwahlen die Mehrheit. Der Konflikt eskalierte jedoch, als das Management einem engagierten Betriebsratsmitglied fristlos kündigte. Der Vorwurf: Er habe einem Kollegen geraten, ein Personalgespräch nur in Begleitung eines Betriebsrats zu führen.

Doch die Strategie, ein Exempel zu statuieren, ging nicht auf. Stattdessen formierte sich ein kreativer und breiter Widerstand:

  • Ein externes Unterstützungsnetzwerk wurde eingeschaltet, das den Fall auf seiner Webseite öffentlich machte und die Strategie mitplante.

  • Eine T-Shirt-Aktion wurde gestartet: Ein Großteil der Belegschaft trug T-Shirts, um Solidarität mit dem gekündigten Kollegen zu zeigen – ein sichtbares Zeichen gegen die Einschüchterungstaktik.

  • Die lokalen Medien wurden informiert, was den Druck auf das Unternehmen erhöhte.

Das Ergebnis: Der Betriebsrat gewann den Gerichtsprozess, der Kollege wurde wieder eingestellt, und die Belegschaft ging gestärkt und geeint aus dem Konflikt hervor.

Erfolgreiche Gegenwehr: Die Werkzeuge des Widerstands

Der Fall Wehaga ist kein Einzelfall und es zeigt sich, dass erfolgreicher Widerstand kein Zufall, sondern das Ergebnis einer klugen und vielschichtigen Strategie ist. Es geht darum, aus der reinen Defensive herauszukommen und eine eigene, proaktive Agenda zu entwickeln. Sechs Dimensionen sind dafür entscheidend:

Rückhalt in der Belegschaft: Dies ist das Fundament jeder erfolgreichen Gegenwehr. Es geht darum, die Kolleg*innen transparent zu informieren, sie in Entscheidungen einzubeziehen und Vertrauen aufzubauen. Gelingt dies, verlieren die Angriffe des Managements ihre Wirkung. Im besten Fall führt das aggressive Vorgehen der Arbeitgeber*innen sogar zu einem »Bumerang-Effekt«: Statt Einschüchterung bewirkt es eine Welle der Solidarisierung.

Zentrale Akteure: Starke, gut vernetzte und entschlossene Persönlichkeiten – oft die Betriebsratsvorsitzenden – sind das Gesicht und der Motor des Widerstands. Ihre persönliche Standhaftigkeit, ihre Kommunikationsfähigkeit und ihre strategische Klugheit sind entscheidend, um die Belegschaft zu einen und den Druck auszuhalten.

Die Gewerkschaft als Ressource und Akteur: Gewerkschaften sind mehr als nur ein Dienstleister. Sie fungieren als juristisches Schutzschild, strategischer Kompass und organisatorisches Rückgrat. Sie bieten entscheidendes Know-how, finanzieren Rechtsstreitigkeiten und können überbetriebliche Solidarität organisieren, die ein einzelner Betriebsrat allein nie aufbauen könnte.

Juristische Mittel als Notbremse: Kündigungsschutzklagen oder die Anrufung der Einigungsstelle sind oft eine unverzichtbare Reaktion auf rechtswidriges Verhalten. Sie sind jedoch kein Allheilmittel. Juristische Auseinandersetzungen sind langwierig, binden enorme Ressourcen und können die Akteure zermürben. Sie müssen daher immer Teil einer größeren betriebspolitischen Strategie sein.

Öffentlichkeitsarbeit als Druckmittel: Wenn interne Mittel nicht mehr fruchten, kann der Gang an die Öffentlichkeit den Konflikt auf eine neue Ebene heben. Durch Berichte in der lokalen Presse, auf Blogs oder in sozialen Medien werden Arbeitgeber dort getroffen, wo es wehtut: bei Image, Kunden und Geschäftspartnern.

Externe Netzwerke und Verbündete: Spezialisierte Beratungsstellen, Solidaritätskreise und NGOs bringen eine wichtige Perspektive von außen ein. Sie bieten psychologische Unterstützung für die Betroffenen, helfen bei der strategischen Planung von Kampagnen und können durch ihre Unabhängigkeit eine hohe Glaubwürdigkeit in der Öffentlichkeit genießen.

Wie sieht sie aus, die Mitbestimmung der Zukunft?

Die Konflikte in deutschen Betrieben sind mehr als ein Stresstest für einzelne Betriebsräte – sie sind ein Stresstest für die demokratische Kultur unserer Arbeitswelt. Die Angriffe werden professioneller und entwickeln sich sogar zu einem Geschäftsmodell. Dies untergräbt systematisch die Grundpfeiler der sozialen Gerechtigkeit am Arbeitsplatz.

Doch der Kampf um die Mitbestimmung wird an mehreren Stellen entschieden. Die Politik ist gefordert, rechtliche Schutzmechanismen zu stärken und die Behinderung von Betriebsratsarbeit wirksamer zu sanktionieren. Gleichzeitig entstehen neue, wichtige Allianzen zwischen betrieblichen Akteuren, Gewerkschaften und zivilgesellschaftlichen Netzwerken, die ihre Kräfte bündeln.

Die entscheidende Kraft bleibt jedoch die gelebte Solidarität im Betrieb. Die Zukunft der Mitbestimmung wird nicht allein in Gerichtssälen oder Parlamenten entschieden, sondern vor allem durch das tägliche Engagement von mutigen Menschen, die für eine gerechte und demokratische Arbeitswelt eintreten. Denn am Ende zeigt sich: Kollektives Handeln, Zusammenhalt und strategisches Vorgehen sind und bleiben die wirksamsten Instrumente.

FAQ – Die wichtigsten Fragen zu Mitbestimmung und Arbeitskampf am Arbeitsplatz

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Über die Methodik

Die in der Studie dargestellten Erkenntnisse basieren auf den Ergebnissen des Forschungsprojekts »Kampf um die Mitbestimmung«, das von der Hans-Böckler-Stiftung gefördert wurde. Die Grundlage bildet ein qualitatives Forschungsdesign mit Fallstudien in 28 Betrieben.

Das Forschungsteam führte zwischen 2018 und 2019 Fallstudien in 28 Betrieben durch, die für ihre Auseinandersetzungen um Mitbestimmung bekannt waren. Nach einer ersten Sondierung durch Expert*innen-Interviews wurden in diesen Betrieben problemzentrierte Interviews geführt. Für eine noch genauere Analyse wählten die Forschenden zehn Betriebe als Vertiefungsfälle aus.

Insgesamt wurden 85 ausführliche Gespräche mit allen relevanten Gruppen geführt: mit betroffenen Betriebsratsmitgliedern und Beschäftigten, aber auch mit Gewerkschafterinnen, Anwältinnen, Vertreterinnen von Unterstützungsnetzwerken und in einigen Fällen auch mit dem Management. Diese Interviews wurden anschließend systematisch ausgewertet, um wiederkehrende Muster, Strategien und Erfolgsfaktoren zu identifizieren.

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